Das Transsexuellengesetz – ein altes, gebrechliches & verfassungswidriges Gesetz 19. September 202125. Februar 2022 Das Transsexuellengesetz (kurz TSG), ein 40 Jahre altes Gesetz [1], welches 2011 zu Teilen als verfassungswidrig erklärt wurde. [2] Obwohl die betroffenen Passagen keine praktische Anwendung mehr finden, wurden sie bis heute nicht überarbeitet. [1, §8 Abs. 1 Nr. 3 und 4] Nach diesen Passagen musste eine transsexuelle Person fortpflanzungsunfähig sein und sich einer weiteren operativen Maßnahme zur Geschlechtsanpassung unterziehen, um den Namen und Personenstand zu ändern. Allerdings wurden auch andere Passagen von weiteren Institutionen als grundrechtsverletzend, veraltet und menschenunwürdig bewertet. Um zwei Institutionen beim Namen zu nennen: Der Bundesrat forderte 2017 den Bundestag dazu auf das gesamte TSG zu reformieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde es als längst überfällig eingestuft. [3] Unter anderem beschloss Deutschland als Teil des Europarats 2015 die Gesetze zur Namens- und Personenstandsänderung schnell, transparent und zugänglich zu gestalten. Basierend auf der Selbstbestimmung. [4, Punkt 6.2.1] Trotzdem ist seitdem wenig bis gar nichts von Seiten der Regierung passiert. Grund für diese Kritik sind insbesondere die herabwürdigenden Gutachten, welche benötigt werden um die Namens- und Personenstandsänderung genehmigt zu bekommen. Des Weiteren kosten diese Gutachten den/die Antragsteller/in im Schnitt über 1.800€ [5, S. 12] und sorgen für Verfahren von mehreren Monaten, bis hin zu Jahren. [5, S. 11] Gutachten – teurer, unwürdiger Weg in die persönliche Freiheit Aus medizinischer Sicht haben die Gutachten keinerlei Relevanz. Hier geht es einzig und allein darum zu beweisen, dass Name und Geschlecht auf den Dokumenten geändert werden sollen. Für jegliche medizinischen Eingriffe wird eine psychologische Behandlung benötigt, um den Krankenkassen die Relevanz für die Kostenübernahmen zu beweisen. Diese, von den Krankenkassen finanzierte Behandlung, hat in vielen Fällen für das Gericht keinen Wert. Fragen und Themen, welche in den Gutachten vorkommen können, werden von Betroffenen häufig als diskriminierend und nicht zielführend empfunden. So wurde beispielsweise ein Transmann gefragt, ob er sich in lesbischen Beziehungen wohlfühlte und, ob die Frauen, mit denen er sich traf, heterosexuell seien. [22] Des Weiteren können Fragen zu höchstpersönlichen Themen, wie zum Beispiel Masturbation, gestellt werden. [25] Auch wird nach Gürteln, Unterwäsche oder dem Portemonnaie gefragt um es als typisch „männlich“ oder „weiblich“ zu bewerten. [23] Ein 16-jähriger musste vor dem Gutachter seinen Pullover ausziehen und Bälle fangen, damit er „sehen könne, ob XY sich wie ein Mann entkleide und fange, da man sich so ja nicht verstellen könne.“ [24, S. 63] Aus Erfahrungen im privaten Umfeld kann ich von der provokanten Ansprache mit dem biologischen Geschlecht und dem vorherigen Namen berichten. Generell wird bereits Vergangenes hervorgeholt, was für erneutes Leid sorgen kann. Eine Studie aus dem Jahre 2015 [6] hat den Sinn des TSG Verfahrens in Hinblick auf diese Gutachten empirisch beleuchtet und kam zu dem Resultat, dass es aufgehoben werden sollte. Von 670 betrachteten Gutachten wurden nur sechs teilweise (nur Namens- und keine Personenstandsänderung) oder vollständig (weder Namens- noch Personenstandsänderung) abgelehnt. [6, S. 114 Z. 12-13] Die Quote liegt also bei weniger als einem Prozent und diese Fälle (bspw. ein geistig beeinträchtigter 9 Jahre alter Junge [6, S. 114 Z. 26]) würden teilweise auch bei einer Reform des Gesetzes keine Erlaubnis erhalten. Auch ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragtes Gutachten, aus dem Jahre 2016, beleuchtet das TSG ausführlich. Mit dem Resultat, dass diese Gutachten nach heutigem Stand nicht mehr haltbar sind. [5, S. 20 3.1.1] Persönlich bin ich seit 2017 geoutet, habe dementsprechend eine fast vierjährige Hormontherapie, eine angleichende Operation, anderthalb Jahre psychologische Therapie, sowie ein weiteres psychiatrisches Gutachten hinter mir. Trotzdessen soll ich Gutachtern eine vierstellige Summe zahlen um mir das bestätigen zu lassen, was auf der Hand liegt. Politischer Hintergrund Schuld an diesem Missstand ist die Bundesregierung. Innerparteilich ist die CDU/CSU bei diesem Thema zerrüttet, die SPD ist mehrheitlich für eine Änderung des TSG. Wie anfangs erwähnt ist das Gesetz seit 2011 verfassungswidrig und nichtsdestotrotz ist aus politischer Sicht seitdem keine Veränderung geschehen. Rolle der SPD im Aufschiebe-Prozess Die SPD hat die Änderung des TSG in den Koalitionsvertrag aufgenommen – und nicht umgesetzt. [7, S. 21 Z. 793-799] Die Justizministerin Christine Lambrecht hat einen Änderungsentwurf [8] vorgelegt. Dieser wurde seitens der Bundesregierung jedoch nicht weiterverfolgt. [9, 3:40] Nach diesem Änderungsentwurf sind die teuren Gutachten durch eine vom Staat finanzierte Beratung [8, S. 14, Artikel 12 §1 Abs. 1] in neu aufzubauenden Beratungsstellen zu ersetzen. [8, S. 2-3 D und E] Das TSG würde abgeschafft und Regelungen zur Änderung des Geschlechtseintrages in das Bürgerliche Gesetzbuch überführt. [8, S. 1 A Abs. 3] Minderjährige haben die Chance eine Zustimmung für das Verfahren über das Familiengericht zu erhalten, falls der gesetzliche Vertreter diese nicht erteilt. [8, S. 6 oben] Gesetzesentwürfe von FDP und Grünen – 19.05.2021 Bündnis 90/Die Grünen [10] und FDP [11] legten am 19.05.2021 dem Bundestag zur Abstimmung eigene Gesetzesentwürfe vor. Demnach soll das TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. [18] Allerdings mit deutlich mehr Rechten als bei dem Gesetzesentwurf der SPD. FDP und Bündnis 90/Die Grünen unterscheiden sich hierbei nur in Feinheiten. Im Groben soll eine Namens- und Personenstandsänderung auf Basis der Selbstbestimmung im Standesamt umsetzbar sein.[10, S. 5 Artikel 2 §45 b Abs. 1] [11, S. 6 Artikel 2 §3 Abs. 1] Weiterhin würde die medizinische Versorgung gesetzlich verankert werden, [10, S. 6 Artikel 3 §2 Abs. 1] [11, S. 6 Artikel 2 §2 Abs. 6] das Offenbarungsverbot konkretisiert (wird der alte Name vorsätzlich genannt würde dies als Ordnungswidrigkeit gelten) [10, S. 7 §4] [11, S. 8-9 Artikel 2 §7] und der Umgang mit Minderjährigen ab 14 Jahre definiert. [10, S. 6 §45 b Abs. 2] [11, S. 6 Artikel 2 §3 Abs. 2] Besonders die medizinische Versorgung kann unter Umständen bei Transsexuellen ein Kampf werden, da sich Krankenkassen oft der Finanzierung verweigern oder diese erschweren um die sehr hohen Kosten von Hormontherapien und Operationen einzusparen. Sowohl CDU/CSU als auch SPD haben entsprechend der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat dagegen gestimmt. [12, S. 4 B] Eine vorherige öffentliche Anhörung mit sechs Sachverständigen im Ausschuss für Inneres und Heimat ergab, dass vier Sachverständige die Gesetzesentwürfe befürworteten. Dr. med. Alexander Korte war gegen die Regelungen bei Minderjährigen und Prof. Dr. Florian Becker empfand, dass ein Nachweis der Ernsthaftigkeit durch Plausiblitätsprüfung unausweichlich ist (dies wäre auch bei dem Entwurf des Justizministeriums (SPD) der Fall). [13] Gegen diese stattgefundene Anhörung der Sachverständigen stimmten im Vorfeld sowohl CDU/CSU als auch SPD. [12, S. 6 III.] Meinung der Bundesregierung Aus dem Fragenkatalog von Bündnis 90/Die Grünen, auf welchem die Bundesregierung im selben Zusammenhang mit den Gesetzesentwürfen Antworten gab, geht folgendes hervor: Die Bundesregierung sieht, trotz der Verfassungswidrigkeit des TSG keine Diskriminierung darin und der „politische Meinungsbildungsprozess“ für eine Reform des TSGs ist noch nicht abgeschlossen. [14, S. 4 Fragen 1-6] Das heißt: Eine Benachteiligung von transsexuellen Personen ist nicht erkennbar, obwohl genug Institutionen und das Bundesverfassungsgericht anderer Meinung sind. Transsexuelle Personen werden auf die Wartebank gesetzt. Seit zehn Jahren. Unter anderem wurde auch nach Entschädigung für Zwangssterilisationen, die bis 2011 verpflichtend im TSG standen, gefragt. Die Bundesregierung sieht nicht vor diese Menschen zu entschädigen. [14, S. 9-10 Fragen 19&20] Dabei sei zu beachten, dass wenige Tage zuvor CDU-Abgeordnete fröhlich Regenbogenflaggen schwenkten. [15] Trotzdem wurde dieses verfassungswidrige Gesetz für eine weitere Legislaturperiode vor sich hergeschoben. Hoffnungen machen nun die Bundestagswahlen. Die Bundestagswahl als Lichtblick Bis auf CDU/CSU und AfD sind alle etablierten Parteien für einen „Gesetzesaustausch“ zum Selbstbestimmungsgesetz oder eine generellen Überarbeitung des Gesetzes (DIE LINKE: [16, S. 109 Stichpunkt 1]; SPD: [17, S. 44 Abs. 1]; Bündnis 90/Die Grünen: [18, S.193 oben]; FDP: [19, S. 42], CDU/CSU: nichts zu diesem Thema im Wahlprogramm [20]; AfD: Tendenz in die Richtung gegen Transsexuelle generell [21, S. 114]). Die Parteien haben hierbei zwar eigene konkrete Vorstellungen. Jedoch mit dem Ziel für mehr Gleichberechtigung für transsexuelle Personen zu sorgen! Das macht Hoffnung, trotzdem wird es in jedem Fall noch ein jahrelanger Prozess. Fazit und Bitte Was heißt es, für einzelne transsexuelle Personen auf diese Änderung zu warten? Unfreiwilliges Outing bei Arbeitgebern. Beschränktes Reisen, denn man möchte ungern in Ländern mit transphoben Gesetzesrahmen wie beispielsweise Polen aufgrund des Personalausweises zwangsgeoutet werden. Keine Änderungen des Namens- und Personenstandes bei Krankenkassen wohlbemerkt mit Zwangsouting im Wartezimmer – oder gar bei Wohnungsbesichtigungen etc. So ein Zwangsouting birgt auch immer eine Gefahr. Neben der verbalen oder formellen Diskriminierung (man bekommt den Arbeitsplatz nicht, die Wohnung nicht, Ärger im Reiseland) kann genau dies auch für Gewalt sorgen. Der Staat stellt transsexuelle Personen folglich vor die Wahl. Entweder man outet sich zwangsweise oder zahlt durchschnittlich über 1.800€ und durchläuft einen menschenunwürdigen Prozess. Deswegen der Appell: Dieses kleine Gesetz, welches eine Minderheit betrifft, fällt leicht unter den Tisch. Schließlich interessiert sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung dafür. Sorgt bitte für Aufsehen. Jeder Mensch, der über diesen Missstand weiß, ist ein Schritt mehr in Richtung Veränderung, um unser Leben ein Stück weit besser zu machen. Danke für Ihre/deine/eure Zeit. Quellenverzeichnis [1] Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG), 10.09.1980 [2] Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07, 11.01.2011 [3] Bundesrat, Entschließung des Bundesrates zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung, 02.06.2017 [4] Parliament Assembly, Discrimination against transgender people in Europe, 22.04.2015 [5] Dr. Laura Adamietz & Katharina Bager, Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen, 11.2016 [6] Bernd Meyenburg & Katrin Renter-Schmidt & Gunter Schmidt, Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz, 06.2015 [7] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 12.03.2018 [8] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz & Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags [9] Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU), Rede im Bundestag zu „Situation von LSBTI“, 19.05.2021 [10] Sven Lehmann et al. (Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, 10.06.2020 [11] Dr. Jens Brandenburg et al. (Abgeordnete der Fraktion FDP), Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung, 16.06.2020 [12] Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss), 11.05.2021 [13] Deutscher Bundestag Ausschuss für Inneres und Heimat, Wortprotokoll der 108. Sitzung, 02.11.2020 [14] Bundesregierung, Soziale und gesundheitliche Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) in Deutschland, 01.04.2021 [15] Tilmann Warnecke, Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen gescheitert, 20.05.2021 [16] DIE LINKE, Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2021, 19. & 20.06.2021 [17] SPD-Parteivorstand 2021, Das Zukunftsprogramm der SPD, 09.05.2021 [18] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm 2021, 11.-13.06.2021 [19] FDP, NIE GAB ES MEHR ZU TUN. Wahlprogramm der Freien Demokraten, 14.- 16.05.2021 [20] CDU/CSU, Das Programm für Stabilität und Erneuerung, o.D. [21] AfD, Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag, 10.-11.04.2021 [22] Luca Brave, Trans* Gutachter (Teil2) | Welche Fragen? | #21, 08.03.2019 [23] Katharina Hölter, So schwer wird Transsexuellen die Namensänderung gemacht, 01.09.2016 [24] Saskia Fahrenkrug, Ein kritisches Pro zur Abschaffung der Begutachtungspflicht nach TSG bei Kindern und Jugendlichen, 03.2016 [25] Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP), Rede im Bundestag zu „Situation von LSBTI“, 19.05.2021