Das Transsexuellengesetz – ein altes, gebrechliches & verfassungswidriges Gesetz

Das Transsexuellengesetz (kurz TSG), ein 40 Jahre altes Gesetz [1], welches  2011 zu Teilen als verfassungswidrig erklärt wurde. [2] Obwohl die betroffenen  Passagen keine praktische Anwendung mehr finden, wurden sie bis heute nicht  überarbeitet. [1, §8 Abs. 1 Nr. 3 und 4] Nach diesen Passagen musste eine  transsexuelle Person fortpflanzungsunfähig sein und sich einer weiteren  operativen Maßnahme zur Geschlechtsanpassung unterziehen, um den Namen und Personenstand zu ändern. 

Allerdings wurden auch andere Passagen von weiteren Institutionen als  grundrechtsverletzend, veraltet und menschenunwürdig bewertet. Um zwei  Institutionen beim Namen zu nennen: Der Bundesrat forderte 2017 den  Bundestag dazu auf das gesamte TSG zu reformieren. Bereits zu diesem  Zeitpunkt wurde es als längst überfällig eingestuft. [3] Unter anderem beschloss  Deutschland als Teil des Europarats 2015 die Gesetze zur Namens- und  Personenstandsänderung schnell, transparent und zugänglich zu gestalten.  Basierend auf der Selbstbestimmung. [4, Punkt 6.2.1] Trotzdem ist seitdem  wenig bis gar nichts von Seiten der Regierung passiert. Grund für diese Kritik  sind insbesondere die herabwürdigenden Gutachten, welche benötigt werden um  die Namens- und Personenstandsänderung genehmigt zu bekommen. Des  Weiteren kosten diese Gutachten den/die Antragsteller/in im Schnitt über 1.800€  [5, S. 12] und sorgen für Verfahren von mehreren Monaten, bis hin zu Jahren.  [5, S. 11] 

Gutachten – teurer, unwürdiger Weg in die  persönliche Freiheit 

Aus medizinischer Sicht haben die Gutachten keinerlei Relevanz. Hier geht es  einzig und allein darum zu beweisen, dass Name und Geschlecht auf den  Dokumenten geändert werden sollen. Für jegliche medizinischen Eingriffe wird  eine psychologische Behandlung benötigt, um den Krankenkassen die Relevanz  für die Kostenübernahmen zu beweisen. Diese, von den Krankenkassen  finanzierte Behandlung, hat in vielen Fällen für das Gericht keinen Wert. 

Fragen und Themen, welche in den Gutachten vorkommen können, werden von  Betroffenen häufig als diskriminierend und nicht zielführend empfunden. So  wurde beispielsweise ein Transmann gefragt, ob er sich in lesbischen  Beziehungen wohlfühlte und, ob die Frauen, mit denen er sich traf, heterosexuell  seien. [22] Des Weiteren können Fragen zu höchstpersönlichen Themen, wie  zum Beispiel Masturbation, gestellt werden. [25] Auch wird nach Gürteln,  Unterwäsche oder dem Portemonnaie gefragt um es als typisch „männlich“ oder 

„weiblich“ zu bewerten. [23] Ein 16-jähriger musste vor dem Gutachter seinen  Pullover ausziehen und Bälle fangen, damit er „sehen könne, ob XY sich wie ein  Mann entkleide und fange, da man sich so ja nicht verstellen könne.“ [24, S. 63]  Aus Erfahrungen im privaten Umfeld kann ich von der provokanten Ansprache  mit dem biologischen Geschlecht und dem vorherigen Namen berichten.  Generell wird bereits Vergangenes hervorgeholt, was für erneutes Leid sorgen  kann. 

Eine Studie aus dem Jahre 2015 [6] hat den Sinn des TSG Verfahrens in  Hinblick auf diese Gutachten empirisch beleuchtet und kam zu dem Resultat,  dass es aufgehoben werden sollte. Von 670 betrachteten Gutachten wurden nur  sechs teilweise (nur Namens- und keine Personenstandsänderung) oder  vollständig (weder Namens- noch Personenstandsänderung) abgelehnt. [6, S.  114 Z. 12-13] Die Quote liegt also bei weniger als einem Prozent und diese  Fälle (bspw. ein geistig beeinträchtigter 9 Jahre alter Junge [6, S. 114 Z. 26])  würden teilweise auch bei einer Reform des Gesetzes keine Erlaubnis erhalten. 

Auch ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend  beauftragtes Gutachten, aus dem Jahre 2016, beleuchtet das TSG ausführlich.  Mit dem Resultat, dass diese Gutachten nach heutigem Stand nicht mehr haltbar  sind. [5, S. 20 3.1.1] 

Persönlich bin ich seit 2017 geoutet, habe dementsprechend eine fast vierjährige  Hormontherapie, eine angleichende Operation, anderthalb Jahre psychologische  Therapie, sowie ein weiteres psychiatrisches Gutachten hinter mir. Trotzdessen soll ich Gutachtern eine vierstellige Summe zahlen um mir das bestätigen zu  lassen, was auf der Hand liegt. 

Politischer Hintergrund 

Schuld an diesem Missstand ist die Bundesregierung. Innerparteilich ist die  CDU/CSU bei diesem Thema zerrüttet, die SPD ist mehrheitlich für eine  Änderung des TSG. Wie anfangs erwähnt ist das Gesetz seit 2011  verfassungswidrig und nichtsdestotrotz ist aus politischer Sicht seitdem keine  Veränderung geschehen. 

Rolle der SPD im Aufschiebe-Prozess 

Die SPD hat die Änderung des TSG in den Koalitionsvertrag aufgenommen – und nicht umgesetzt. [7, S. 21 Z. 793-799] Die Justizministerin Christine  Lambrecht hat einen Änderungsentwurf [8] vorgelegt. Dieser wurde seitens der  Bundesregierung jedoch nicht weiterverfolgt. [9, 3:40] Nach diesem  Änderungsentwurf sind die teuren Gutachten durch eine vom Staat finanzierte  Beratung [8, S. 14, Artikel 12 §1 Abs. 1] in neu aufzubauenden Beratungsstellen 

zu ersetzen. [8, S. 2-3 D und E] Das TSG würde abgeschafft und Regelungen  zur Änderung des Geschlechtseintrages in das Bürgerliche Gesetzbuch  überführt. [8, S. 1 A Abs. 3] Minderjährige haben die Chance eine Zustimmung  für das Verfahren über das Familiengericht zu erhalten, falls der gesetzliche  Vertreter diese nicht erteilt. [8, S. 6 oben] 

Gesetzesentwürfe von FDP und Grünen – 19.05.2021 

Bündnis 90/Die Grünen [10] und FDP [11] legten am 19.05.2021 dem  Bundestag zur Abstimmung eigene Gesetzesentwürfe vor. Demnach soll das  TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. [18] Allerdings mit  deutlich mehr Rechten als bei dem Gesetzesentwurf der SPD. FDP und Bündnis  90/Die Grünen unterscheiden sich hierbei nur in Feinheiten. Im Groben soll eine  Namens- und Personenstandsänderung auf Basis der Selbstbestimmung im  Standesamt umsetzbar sein.[10, S. 5 Artikel 2 §45 b Abs. 1] [11, S. 6 Artikel 2  §3 Abs. 1] Weiterhin würde die medizinische Versorgung gesetzlich verankert  werden, [10, S. 6 Artikel 3 §2 Abs. 1] [11, S. 6 Artikel 2 §2 Abs. 6] das  Offenbarungsverbot konkretisiert (wird der alte Name vorsätzlich genannt  würde dies als Ordnungswidrigkeit gelten) [10, S. 7 §4] [11, S. 8-9 Artikel 2 §7]  und der Umgang mit Minderjährigen ab 14 Jahre definiert. [10, S. 6 §45 b Abs.  2] [11, S. 6 Artikel 2 §3 Abs. 2] Besonders die medizinische Versorgung kann  unter Umständen bei Transsexuellen ein Kampf werden, da sich Krankenkassen  oft der Finanzierung verweigern oder diese erschweren um die sehr hohen  Kosten von Hormontherapien und Operationen einzusparen. 

Sowohl CDU/CSU als auch SPD haben entsprechend der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat dagegen gestimmt. [12, S. 4 B] 

Eine vorherige öffentliche Anhörung mit sechs Sachverständigen im Ausschuss  für Inneres und Heimat ergab, dass vier Sachverständige die Gesetzesentwürfe  befürworteten. Dr. med. Alexander Korte war gegen die Regelungen bei  Minderjährigen und Prof. Dr. Florian Becker empfand, dass ein Nachweis der  Ernsthaftigkeit durch Plausiblitätsprüfung unausweichlich ist (dies wäre auch  bei dem Entwurf des Justizministeriums (SPD) der Fall). [13] Gegen diese  stattgefundene Anhörung der Sachverständigen stimmten im Vorfeld sowohl  CDU/CSU als auch SPD. [12, S. 6 III.] 

Meinung der Bundesregierung 

Aus dem Fragenkatalog von Bündnis 90/Die Grünen, auf welchem die  Bundesregierung im selben Zusammenhang mit den Gesetzesentwürfen  Antworten gab, geht folgendes hervor: Die Bundesregierung sieht, trotz der  Verfassungswidrigkeit des TSG keine Diskriminierung darin und der „politische  Meinungsbildungsprozess“ für eine Reform des TSGs ist noch nicht  abgeschlossen. [14, S. 4 Fragen 1-6] Das heißt: Eine Benachteiligung von 

transsexuellen Personen ist nicht erkennbar, obwohl genug Institutionen und das  Bundesverfassungsgericht anderer Meinung sind. Transsexuelle Personen  werden auf die Wartebank gesetzt. Seit zehn Jahren. 

Unter anderem wurde auch nach Entschädigung für Zwangssterilisationen, die  bis 2011 verpflichtend im TSG standen, gefragt. Die Bundesregierung sieht  nicht vor diese Menschen zu entschädigen. [14, S. 9-10 Fragen 19&20] Dabei  sei zu beachten, dass wenige Tage zuvor CDU-Abgeordnete fröhlich  Regenbogenflaggen schwenkten. [15] Trotzdem wurde dieses  verfassungswidrige Gesetz für eine weitere Legislaturperiode vor sich  hergeschoben. Hoffnungen machen nun die Bundestagswahlen. 

Die Bundestagswahl als Lichtblick 

Bis auf CDU/CSU und AfD sind alle etablierten Parteien für einen  „Gesetzesaustausch“ zum Selbstbestimmungsgesetz oder eine generellen  Überarbeitung des Gesetzes (DIE LINKE: [16, S. 109 Stichpunkt 1]; SPD: [17,  S. 44 Abs. 1]; Bündnis 90/Die Grünen: [18, S.193 oben]; FDP: [19, S. 42],  CDU/CSU: nichts zu diesem Thema im Wahlprogramm [20]; AfD: Tendenz in  die Richtung gegen Transsexuelle generell [21, S. 114]). Die Parteien haben  hierbei zwar eigene konkrete Vorstellungen. Jedoch mit dem Ziel für mehr  Gleichberechtigung für transsexuelle Personen zu sorgen! Das macht Hoffnung,  trotzdem wird es in jedem Fall noch ein jahrelanger Prozess. 

Fazit und Bitte 

Was heißt es, für einzelne transsexuelle Personen auf diese Änderung zu  warten? Unfreiwilliges Outing bei Arbeitgebern. Beschränktes Reisen, denn man möchte ungern in Ländern mit transphoben Gesetzesrahmen wie  beispielsweise Polen aufgrund des Personalausweises zwangsgeoutet werden.  Keine Änderungen des Namens- und Personenstandes bei Krankenkassen wohlbemerkt mit Zwangsouting im Wartezimmer – oder gar bei  Wohnungsbesichtigungen etc. So ein Zwangsouting birgt auch immer eine  Gefahr. Neben der verbalen oder formellen Diskriminierung (man bekommt den  Arbeitsplatz nicht, die Wohnung nicht, Ärger im Reiseland) kann genau dies  auch für Gewalt sorgen. Der Staat stellt transsexuelle Personen folglich vor die  Wahl. Entweder man outet sich zwangsweise oder zahlt durchschnittlich über  1.800€ und durchläuft einen menschenunwürdigen Prozess. 

Deswegen der Appell: Dieses kleine Gesetz, welches eine Minderheit betrifft,  fällt leicht unter den Tisch. Schließlich interessiert sich nur ein geringer Teil der  Bevölkerung dafür. Sorgt bitte für Aufsehen. Jeder Mensch, der über diesen  Missstand weiß, ist ein Schritt mehr in Richtung Veränderung, um unser Leben  ein Stück weit besser zu machen. Danke für Ihre/deine/eure Zeit.


Quellenverzeichnis 

[1] Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG), 10.09.1980

[2] Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07, 11.01.2011

[3] Bundesrat, Entschließung des Bundesrates zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes  sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum  Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung, 02.06.2017 

[4] Parliament Assembly, Discrimination against transgender people in Europe, 22.04.2015

[5] Dr. Laura Adamietz & Katharina Bager, Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für  transgeschlechtliche Menschen, 11.2016

[6] Bernd Meyenburg & Katrin Renter-Schmidt & Gunter Schmidt, Begutachtung nach dem  Transsexuellengesetz, 06.2015

[7] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 12.03.2018

[8] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz & Bundesministerium des  Innern, für Bau und Heimat, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des  Geschlechtseintrags

[9] Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU), Rede im Bundestag zu „Situation von  LSBTI“, 19.05.2021 

[10] Sven Lehmann et al. (Abgeordnete der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Entwurf  eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des  Selbstbestimmungsgesetzes, 10.06.2020

[11] Dr. Jens Brandenburg et al. (Abgeordnete der Fraktion FDP), Entwurf eines Gesetzes zur  Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung, 16.06.2020  

[12] Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres  und Heimat (4. Ausschuss), 11.05.2021

[13] Deutscher Bundestag Ausschuss für Inneres und Heimat, Wortprotokoll der 108. Sitzung,  02.11.2020

[14] Bundesregierung, Soziale und gesundheitliche Situation von Lesben, Schwulen,  Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) in Deutschland, 01.04.2021

[15] Tilmann Warnecke, Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen gescheitert,  20.05.2021

[16] DIE LINKE, Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2021, 19. &  20.06.2021 

[17] SPD-Parteivorstand 2021, Das Zukunftsprogramm der SPD, 09.05.2021

[18] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm  2021, 11.-13.06.2021 

[19] FDP, NIE GAB ES MEHR ZU TUN. Wahlprogramm der Freien Demokraten, 14.- 16.05.2021 

[20] CDU/CSU, Das Programm für Stabilität und Erneuerung, o.D.

[21] AfD, Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl  zum 20. Deutschen Bundestag, 10.-11.04.2021

[22] Luca Brave, Trans* Gutachter (Teil2) | Welche Fragen? | #21, 08.03.2019

[23] Katharina Hölter, So schwer wird Transsexuellen die Namensänderung gemacht,  01.09.2016 

[24] Saskia Fahrenkrug, Ein kritisches Pro zur Abschaffung der Begutachtungspflicht nach  TSG bei Kindern und Jugendlichen, 03.2016  

[25] Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP), Rede im Bundestag zu „Situation von  LSBTI“, 19.05.2021